Wochenandacht

... für die Osterzeit


Predigt am Ostersonntag, 20. April, über Johannes 20, 11-18,
von Dekanin Sabine Hirschmann
 

Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.

Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!

Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe.

Liebe Gemeinde!

In der Grundschule fragt der Lehrer: „Was versteht man unter einer Bahnunterführung?“ –

Möglicherweise fangen Sie im Kopf jetzt selbst an nachzudenken: Wie würden Sie erklären, was eine Bahnunterführung ist?

Was versteht man unter einer Bahnunterführung? –

Die Antwort vom kleinen Fritz lautet: „Wenn gerade ein Zug drüber fährt, versteht man kein Wort.“

Es gibt Fragen, die kann man unterschiedlich verstehen. Und deshalb auch unterschiedlich beantworten. Oft merken wir das aber gar nicht, weil wir nur in eine Richtung denken. Und wenn dann jemand mal anders denkt, dann ist das überraschend und manchmal auch witzig.

Da fragt der Beamte auf der Behörde, der gerade sein Formular ausfüllt: „Geboren?“

Und die Frau vor ihm antwortet: „Ja.“

Als ich das Osterevangelium für heute gelesen habe, da bin ich an den Fragen hängen geblieben.

„Frau, was weinst du?“ – Zweimal wird Maria Magdalena diese Frage am Grab gestellt.

Und irgendwie ist diese Frage erstmal absurd. Wer von uns würde auf die Idee kommen, wenn wir einem weinenden Menschen auf dem Friedhof begegnen, zu fragen: Was weinst du?

Die Antwort ist doch so klar.

Und das ist sie auch für Maria Magdalena. Sie hat ihren Herrn verloren und das gleich doppelt. Erst ist er am Kreuz gestorben und dann ist auch noch sein Leichnam verschwunden.

Maria ist nicht nur traurig. Sie ist aufgelöst.

Sie weint, hat Tränen in den Augen, kann gar nicht klarsehen und wohl auch nicht klar denken. Und deshalb merkt sie erstmal nicht, wer ihr diese Frage stellt, und dass es vielleicht mehr als eine mögliche Antwort darauf gibt.

Dabei legt sich der Himmel mächtig ins Zeug. Ich finde, der Evangelist Johannes erzählt das durchaus mit Humor.

Es sind gleich zwei Engel, die im Grab sitzen. Einer reicht nicht. Weiße Gewänder haben sie an. Sie leuchten das Grab aus. Aber Maria sieht/versteht es nicht.

„Frau, was weinst du?“, fragen sie. Und ich frage mich, wie diese Frage aus dem Mund der Engel wohlgeklungen hat? Besonders einfühlsam? Weil Maria so offensichtlich trauert. Oder ungeduldig? „Mensch, Maria jetzt versteh doch endlich!“

Maria scheint einen möglichen Unterton nicht zu hören. Sie antwortet direkt: „Sie haben meinen Herrn weggenommen. Ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“

Dann kommt Jesus selbst. Aber ihre Augen sind scheinbar immer noch so voller Tränen, dass sie auch da nicht sieht.

Auch Jesus fragt: „Frau, was weinst du?“

Maria merkt es immer noch nicht. Sie hält Jesus für den Gärtner. Wer soll er sonst sein? Schließlich ist das hier ein Grabesgarten. Maria sieht, was sie in ihrer Trauer gefangen zu sehen vermag und fragt: „Hast du ihn weggetragen? Wo hast du ihn hingelegt?“. Sie wartet die Antwort nicht einmal ab, dreht sich gleich weg. Sie braucht keinen Gärtner.  Sie braucht den toten Jesus, um Abschied zu nehmen.

Jetzt kommt der entscheidende Moment und das entscheidende Wort, keine Frage mehr, sondern eine Anrede, ein Ruf: „Maria!“

Jesus spricht Maria mit ihrem Namen an.

„Da wandte sie sich um“, erzählt Johannes.

Sie muss den Blick wenden, um etwas Neues denken zu können, etwas, was bisher unmöglich war. Sie muss sich vom Grab wegdrehen, um das in den Blick zu bekommen, was sie bisher nicht im Blick haben konnte: Jesus lebt. Ihr Meister ist da.

Ein Vers aus dem Jesajabuch, der auch oft als Taufspruch gewählt wird, beschreibt am besten, was hier passiert. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ (Jesaja 43,1) Was die Engel nicht schafften, was das leere Grab ihr nicht zeigen konnte, das erreicht Jesus, als er ihren Namen ruft: Maria! Fürchte dich nicht! Du bist mein! Und später wird sie den Grabesgarten verlassen, erst den Jüngern und dann aller Welt erzählen: Ich habe den Herrn gesehen!

Liebe Gemeinde,

Fürchte dich nicht. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein! Am Ostermorgen erinnern wir uns an unsere Taufe und daran, dass der Auferstandene auch uns bei unserem Namen gerufen hat.

 

 

Er ruft uns in ein neues Leben nach dem Tod.

Und das hat schon jetzt Bedeutung, in diesem Leben.

Manchmal werden auch wir gefragt:

Frau/Mann, Kind was weinst du?“ – Und meistens haben wir dafür einen guten Grund.

Wir trauern, so wie Maria getrauert hat.

Wir haben etwas verloren, was uns wichtig war, einen Menschen, einen Traum, ein Ziel, eine Aufgabe.

Wir machen uns Sorgen um unsere zerrissene, friedlose Welt.

Die Antwort auf diese Frage liegt dann so nahe.

Wir erzählen, was fehlt, wer fehlt, welche Sorge und Angst uns umtreibt.  Wir lassen uns dafür Zeit. Wir brauchen die Zeit. Manchmal richten wir uns auch ein in dieser Zeit.

Aber als Christ*innen glauben wir an einen Gott, der uns in solchen Momenten ruft, damit wir unseren Blick wenden und auf das Leben und die Lebensmöglichkeiten schauen, die er uns schenkt.

Der Glaube an die Auferstehung, der führt uns schon jetzt in die Freiheit, Leben zu denken, wo es scheinbar aufgehört hat.

Frieden, Versöhnung, Lebenssinn zu erhoffen, wo noch Krise herrscht, Gutes zu erwarten und das Gute zu suchen, statt zu resignieren.

Jesus ruft uns, den Blick zu wenden.

Er ruft uns heraus aus unseren Routinen und unseren eingefahrenen Mustern, in denen wir denken und handeln.

Er ruft uns, das ganz Neue zu denken und für möglich zu halten. Schon jetzt.

Er ruft uns aus der Trostlosigkeit in Hoffnung und Zuversicht – so wie er Maria gerufen hat.

Er ruft uns in eine neue Lebendigkeit – die uns aufleben und handeln lässt: So wie Maria.

Oft genug wird es mehr als einen Ostermorgen brauchen bis auch wir unseren Blick lösen und uns herausrufen lassen. Das was die Ostergeschichte erzählt, das ist ja wie ein Zeitraffer. Aber es ändert nichts an der Drehrichtung. Weg vom Tod hin zum Leben – nicht nur zu einem Leben nach dem Tod - sondern zu einem Leben im Leben jetzt.

Manchmal brauchen wir dafür himmlische Unterstützung!

Es braucht gute Fragen, um auf neue Antworten und Lösungen aufmerksam zu werden.

Es braucht jemanden, der uns zur Freiheit verhilft, die innere Freiheit und die äußere Freiheit, Neues zu wagen.

Es braucht jemanden, der einen Hoffnungsschimmer bringt, wenn wir nur Dunkles sehen und unser Blick davon gebunden ist. Es braucht Menschen, die an Gräbern die Auferstehungsbotschaft verkündigen.

„Ein Hoch auf die Hoffnung“ so lautet der Leitartikel von Margit Hufnagel im Fränkischen Tag. Sie beschreibt darin, wie sie die Stimmung in der Gesellschaft empfindet: Karfreitagsstimmung. Der Blick gebunden von alle dem was nicht geht und nicht ist. „Trostlosigkeit raubt uns die Kraft“, schreibt sie. Und „vielleicht bietet gerade Ostern, dieses große christliche Versprechen, die Möglichkeit innezuhalten und sich auf das zu besinnen, was das Leben zum Guten verändern kann: Hoffnung und Zuversicht. Denn während die Trostlosigkeit lähmt, macht uns die Hoffnung zu Handelnden.

Manchmal braucht es himmlische Unterstützung – wie die Engel oder Gärtner, oder, oder, oder. Und es braucht uns…dass wir uns ansprechen lassen.

Dann kann es mit Gottes Hilfe Ostern werden und wir können tun, was Maria Magdalena auch getan hat: den Grabesgarten verlassen und weitersagen, was uns geschehen ist.

Amen