Wochenandacht

für die Woche vom 21. bis zum 27. April


Predigt am Sonntag, 21. April, über 2. Korinther 4, 14-18,
von Pfarrerin Michaela Wüst
 

Denn wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, wird uns auch auferwecken mit Jesus und wird uns vor sich stellen samt euch. Denn es geschieht alles um euretwillen, auf dass die Gnade durch viele wachse und so die Danksagung noch reicher werde zur Ehre Gottes. Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig. 

Liebe Gemeinde,

der Apostel Paulus steckt voller Osterfreude:

Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.
Mit anderen Worten gesagt: Die Sache Jesu geht weiter!
Paulus ist überzeugt: Ostern schenkt Menschen neue Lebendigkeit. Ostern wärmt, steckt an, lässt einen nicht kalt.

Jetzt kann man sagen: Der hat gut reden, der Paulus.
Die Osterfreude ist doch heute am dritten Sonntag nach Ostern schon etwas abgekühlt, oder?

Ich möchte Ihnen erzählen, warum ich dennoch geneigt bin Paulus zuzuhören und mich von ihm anstecken zu lassen.
Wie so viele Menschen in der Bibel ist auch Paulus kein Star. Kein Held. Kein Überflieger.
Die Osterfreude des Paulus ist wie eine zweite Stimme. Eine andere Melodie. Eine neue Perspektive in seinem Leben.
Die erste Stimme ist der ganz normale Alltag, auch die Sorgen, das Leid.
Und so klingen auch bei ihm beide Stimmen zusammen.
Die klagende Stimme und die lobende Gegenstimme. Ganz menschlich, finde ich.

Also nicht Osterfreude, weil eh schon alles so super läuft.
Sondern Osterfreude, obwohl sein Leben nicht so glatt läuft.
Osterfreude, obwohl Paulus verfolgt, eingesperrt und geschlagen wird.
Osterfreude, obwohl Paulus kein klassischer Star ist. Ihm wird immer wieder vorgeworfen, dass seine Reden etwas blass sind. Er ist kein Rhetorik-Genie.
Osterfreude, obwohl Paulus ein Leiden mit sich herumschleift, dass immer wieder zuschlägt. Vielleicht Epilepsie, Migräne, Schwermut – die Forscher rätseln. Paulus wäre das gern los, aber seine bisherigen Gebete um Heilung wurden nicht erhört.

Wörtlich klingt die Zweistimmigkeit bei Paulus dann so:

„Darum werden wir nicht müde, sondern auch wenn unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“

Osterfreude ist bei Paulus auch kein Allheilmittel. Und schon gar nicht ein „Wünsch-dir-was“.
Aber sie verleiht ihm und allen, die sich von ihr anstecken lassen einen anderen Blick, einen anderen Klang, eine neue Perspektive fürs Leben.
Und hilft so, den Alltag zu bestehen.
Mit Schwierigkeiten und Niederlagen umzugehen. Auch mit Leid und Schmerz.
Nicht daran zu zerbrechen.

Der Osterglaube und die Osterfreude haben kleine Signalwörter zur Seite, nämlich: „obwohl“. Oder, noch prägnanter: „dennoch“!

Prüfen Sie das gerne mal nach in Ihrer eigenen Lebensgeschichte:
Was bringt sie dazu, trotz allem was im Kleinen und Großem an nicht gutem geschieht, den inneren Halt und die Hoffnung zu bewahren? Ist da dieses kleine trotzige „dennoch“ mit dabei?

Erklingt da die zweite Stimme in Ihnen?

Soziolog:innen, Therapeut:innen, Mediziner:innen nennen diese innere Widerstandskraft gegen Krisen – die zweite Stimme, wie ich sie heute nenne: Resilienz.
Resilienz heißt: Abprallen. So wie ein Regenschirm den Regen abprallen lässt.

Resilienz meint menschliche, seelische Widerstandskraft. Sozusagen die Dennoch-Quelle.

Ich habe mich gefragt: Kann man Resilienz lernen? Sich aneignen?
Ich denke JA. Und dennoch spielt auch unsere Vergangenheit eine bedeutende Rolle. Und dabei genau das, was wir nicht beeinflussen konnten. Resilienzfördernd ist es, wenn es in der Kindheit und Jugend Menschen gibt, die einen ernst nehmen, sich für einen interessieren, an einen Glauben, einem etwas zutrauen. All das stärkt den Selbstwert: Ich kann was. Ich bin wichtig. Welche Menschen kommen ihnen in den Sinn? Die Mutter, der Großvater, eine Lehrerin, der Ausbilder im Betrieb?

Und auch wenn wir im Alter fortgeschritten sind, sind diese sozialen Komponenten im Leben absolut wichtig: Familie oder eine Clique, eine beste Freundin oder einen besten Freund, mit dem man offen sprechen kann und bei denen man sich nicht toller machen muss als man ist.

Manchen gibt die Liebe zur Natur innere bleibende Kraft oder die Liebe zur Musik, zur Kunst …

Und schließlich ist auch die Religion eine Quelle innerer Kraft – ob islamisch, jüdisch, christlich oder sonst wie ist in diesem Punkt gar nicht entscheidend:
Religion kann zur inneren Stabilisierung beitragen.

Manchmal erlebe ich Menschen, wo ich denke:
„Wo nehmen die nur die Kraft her?“

Dann, wenn ich Lebensgeschichten lausche, bei Besuchen, aber auch bei Begegnungen zwischen Tür und Angel.

Andere Lebensgeschichten sind öffentlich. Durch die Medien können wir sie verfolgen. Von zwei Personen, die mich in letzter Zeit beeindruckt, aber auch ins Nachdenken gebracht haben, will ich Ihnen erzählen:

Woher hat Alexander Nawalny die Kraft genommen?
Der russische Oppositionspolitiker, Putin-Gegner, Kandidat bei der Oberbürgermeisterwahl in Moskau, immer wieder inhaftiert. Vor Jahren wurde ein Giftanschlag auf ihn verübt. Er wurde in der Berliner Charité behandelt, erholte sich dort. Und flog doch ganz bewusst wieder zurück nach Russland, wohlwissend, was ihn dort erwarten würde. Haft, Isolation, Gewalt und vor einigen Monaten dann Tod im Gefängnis. Nawalny war erst spät Christ geworden und seine Lieblingsstelle aus der Bibel war: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“ Mit seiner inneren Kraft und Gradlinigkeit hat er Menschen Mut gemacht und macht immer noch Mut – zu widerstehen.

Woher nimmt Sally Azar die Kraft her?
Diese Frau ist bei uns nicht so bekannt. Sie ist 27 Jahre jung und ist die erste palästinensische christliche Pastorin, arbeitet in der deutschsprachigen Himmelfahrtskirche in Ostjerusalem. War dort auf einer deutschen Schule und hat später u.a. in Göttingen studiert, daher kann sie gut deutsch. Sie predigt aber auch auf Englisch und auf Arabisch. Eine Frau als Pastorin? Für viele in ihrer Umgebung, für die armenischen, orthodoxen und katholischen Christen in Jerusalem geht das gar nicht, aber Sally Azar weiß, was sie will. Und sie predigt tatsächlich: Frieden. Sie versucht, in dem großen, blutigen Konflikt dort beide Seiten zu sehen und zu verstehen, nicht einseitig zu werden. Stressige Aufgabe, aber wichtig.

Ja, mich beeindrucken diese Menschen. Weil ich eine Ahnung davon bekomme, dass österlicher Glaube nicht irgendwas Theoretisches ist, sondern sich ganz praktisch und konkret im Leben auswirkt.

Der Osterglaube ist eine Kraft. Die stellt manches auf den Kopf. Oder auf die Füße. Und macht das Leben auf jeden Fall mehrstimmig.
„Denn wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, wird uns auch auferwecken mit Jesus. Darum werden
wir nicht müde, sondern auch wenn unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“  

Amen.