für die Woche vom 7. bis zum 13. September 2025
Predigt am 12. Sonntag nach Trinitatis über Apostelgeschichte 3,1-10 von Pfarrer Walter Neunhoeffer
Liebe Gemeinde,
eben haben wir eine Wundergeschichte von Jesus als Evangelium gehört. Dem Evangelisten Lukas ist es in seiner Apostelgeschichte wichtig zu erzählen, dass auch in der jungen christlichen Gemeinde immer wieder Wunderbares geschehen ist. Wir hören aus das Apostelgeschichte:
Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. Und es wurde ein Mann herbeigetragen, der war gelähmt von Mutterleibe an; den setzte man täglich vor das Tor des Tempels, das da heißt das Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte stehen und gehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor dem Schönen Tor des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war. (Apostelgeschichte 3,1-10)
Diese Wundergeschichte ist eine wunderbare Geschichte. Der Gelähmte macht endlich eine neue Erfahrung. Er wird wie immer vor ein Tor des Tempels getragen. Er soll um Almosen bitten, damit er zumindest ein wenig zum Unterhalt der Familie beitragen kann. Er weiß, dass er für die Seinen eine Belastung ist.
Strategisch günstig wird er an das Tor gelegt, das das „Schöne“ heißt. Menschen mit frommen Gefühlen gehen vorbei. Sie sind bestimmt eher barmherzig gestimmt. Sie geben schnell etwas. Manche vielleicht auch um sich selbst zu beruhigen und sich doch nicht mit dem Leid auseinander setzen zu müssen. Sie geben schnell und sie gehen schnell… weiter. Andere gehen vorbei und tun so, als würden sie ihn nicht sehen und hören.
Aber jetzt kommen zwei, die reagieren auf ihn, sehen ihn an, nehmen in wahr irgendwie nicht nur als Bettler und Gelähmten, sondern als Menschen. Diese Wundergeschichte ist eine wunderbare Geschichte, weil sie davon erzählt, wie ein Mensch nicht nur als Belastung wahrgenommen wird oder als Störenfried der eigenen frommen Gefühle. Sie erzählt vielleicht auch davon, wie sich der Mensch selbst in einem neuen Licht sehen kann, wenn er als Mensch angesehen wird.
Das ist eine gute Geschichte in einer Zeit, in der man da Gefühl hast, dass viele Menschen nur als Belastung oder als Kostenfaktor angesehen werden.
Diese Wundergeschichte eine wunderbare Geschichte, weil Petrus und Johannes nicht einfach an dem Gelähmten verschämt vorbeigehen, weil sie gerade kein Geld dabei haben. Sie bleiben stehen. Sie erkennen, dass sie die Erwartung des Gelähmten nicht erfüllen können. „Silber und Gold habe ich nicht“, sagt Petrus und besinnt sich darauf, was denn sein eigentlicher Auftrag ist.
Die Geschichte ist eine gute Geschichte in Zeiten zurückgehender Ressourcen, in denen der erste Impuls ist, sich zurückzuziehen, sich als nicht zuständig zu erklären.. Die Geschichte macht Mut, darüber nachzudenken, was ist eigentlich mein eigener Auftrag.
Weil Petrus ja auch immer für die Kirche steht, frage ich mich: Was ist der eigentliche Auftrag von uns als Kirche und Kirchengemeinde?
Petrus und Johannes besinnen sich also darauf und sagen zu dem Gelähmten: „Im Namen Jesu Christi von Nazareth, steh auf und geh umher.“
Im Namen Jesu Christi von Nazareth soll niemand auf Almosen angewiesen sein.
Im Namen Jesu Christi von Nazareth soll jede und jeder einen eigenen Stand haben.
Im Namen Jesu Christi von Nazareth soll jede und jeder ihren bzw. seinen eigenen Weg gehen können.
Weil Petrus weiß, dass es nicht nur bei frommen Worten bleiben kann, reicht er dem Gelähmten die Hand und richtet ihn auf.
Die Geschichte ist eine gute Geschichte für uns als Kirche, weil sie von unserem Auftrag erzählt, anderen die Hand zu reichen und sie aufzurichten. Das heißt die einzelne, den einzelnen in der je eigenen Geschichte wahrzunehmen und wertzuschätzen. Du bist wertvoll, so wie Du bist.
Deshalb ist die Geschichte eine gute Geschichte in einer Zeit, in der gerne über andere Menschen, Menschengruppen und Lebensformen gelästert und gehetzt wird und differenzierte Sichtweisen als „voke Gesinnung“ diffamiert werden.
Die Wundergeschichte ist eine wunderbare Geschichte , weil der Gelähmte erlebt, wie seine Knöchel fest werden, wie er stehen kann, zu sich selbst stehen kann. Der Gelähmte kann gehen. Er kann selbst in den Tempel gehen und bleibt nicht mehr außen vor. Diese Erfahrung lässt ihn rennen und springen. „Ich gehöre dazu!“ Dieses Gefühl setzt Energie frei.
Ich bin sehr dankbar, dass wir im Kirchenvorstand mit der Kirchenvorsteherin Anja Zeller eine Beauftragte für Barrierefreiheit haben, die mit kritischem Blick darauf sieht, wo wir anderen, meist unbewusst, das Gefühl geben, dass sie nicht dazu gehören.
„Ich gehöre dazu!“ Dieses Gefühl hatte auch ein Mädchen mit Down Syndrom, das sich vor vielen Jahren konfirmieren durfte. Nach ihrer Einsegnung drehte sie sich um, sprang in die Luft und rief: „Yeah!“ Ihre Freude sprang auf die ganze Gottesdienstgemeinde über.
Diese Wundergeschichte ist eine wunderbare Geschichte. Weil der ehemals Gelähmte seiner Freude großen Ausdruck verlieh, indem er herumsprang und Gott lobte, verwunderten sich die anderen, weil sie in ihm den erkannten, an dem sie schon oft vorbeigegangen waren. Weil er dazu gehört, wird er neu gesehen und ist nicht mehr nur der bemitleidenswerte Gelähmte.
Die Geschichte ist eine gute Geschichte, weil sie uns zeigt, wie wunderbar es ist, wenn Menschen nicht in Schubladen bleiben, in die wir sie stecken.
Übrigens um Menschen aus diesen Schubladen zu holen, brauchen wir wahrlich kein Silber und Gold.
Amen.