für die Woche vom 5. bis zum 11. Februar
Predigt am Sonntag, 5. Februar, über Matthäus, 9, 9-13,
von Pfarrer Walter Neunhoeffer
Liebe Gemeinde,
Jesus mutet den Frommen und wohl auch uns, denen es uns heute wichtig war, in den Gottesdienst zu kommen, ganz schön was zu. Eben haben wir das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (vgl. Matthäus 20,1-16) gehört und von der sehr eigenwilligen Entscheidung des Weinbergbesitzers, die Arbeiter unabhängig von ihrer Leistung zu bezahlen. Da bekommt der, der nur eine Stunde gearbeitet hat, genauso viel wie der, der 12 Stunden arbeitete.
Im heutigen Predigttext kommt die nächste Zumutung auf uns zu.
Jesus sah einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Als das Jesus hörte, sprach er: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt: „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer“. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (Matthäus 9,9-13)
Da beruft Jesus einen Zöllner als Jünger. Das ist eine echte Zumutung für damalige fromme Ohren und Herzen. Zöllner zählten nicht gerade zu den Sympathieträgern der damaligen Gesellschaft in Palästina. Sie machten gemeinsame Sache mit der Besatzungsmacht der Römer, unter der viele leiden mussten. Damit nicht genug: Sie bereicherten sich auch noch an denen, die sowieso schon nicht viel hatten.
Und so einen beruft Jesus als Jünger? Offensichtlich sieht Jesus bei Matthäus mehr:
vielleicht die Gabe, auf Menschen zuzugehen?
Vielleicht die Gabe, Erlebtes einzuordnen und weiterzugeben?
Vielleicht auch nur den Wunsch, das Leben zu verändern?
Vielleicht spürte Jesus, dass Matthäus nur noch eine kleine Ermutigung brauchte, um den ersten Schritt in ein neues Leben zu wagen. Diese Ermutigung war Jesus wichtiger als die Vorbehalte, denen Matthäus ständig begegnete.
Es muss sich herumgesprochen haben, dass Jesus anderen vorbehaltlos begegnete. Wenn man hörte, dass Jesus irgendwo zu Tisch saß, kam man gerne, setzte sich dazu, hatte Gemeinschaft und wurde nicht darauf festgelegt, was über einen erzählt wurde. Man war eben nicht nur der Zöllner, sondern ganz einfach Matthäus oder Levi. Man war eben nicht die Dame, über die man tuschelte, dass sie doch eine des horizontalen Gewerbes sei, sondern ganz einfach Maria Magdalena.
Ja, das tut gut, wenn ich ich sein darf und Du Du, ohne dass wir auf Vorurteile oder Vorerfahrungen oder Gerüchte festgelegt werden.
Diese selbstverständliche und vorbehaltlose Gemeinschaft ärgert. Sie ärgert offensichtlich gerade die , denen der Glaube wichtig ist.
Warum eigentlich?
Hat man das Gefühl, wenn man für alles offen ist, kann man nicht mehr ganz dicht sein?
Sorgt man sich um die Erkennbarkeit des Glaubens? Wenn jede und jeder willkommen ist, ist es dann egal, was ich glaube, sage oder tu?
Geraten dann nicht alle Werte ins Wanken?
Vielleicht fühlt man sich auch verletzt. Nimmt Jesus nicht wahr, welche Opfer ich für meinen Glauben auf mich nehme, wieviel Zeit ich investiere, welche Mühe ich mir mache, welche Bedeutung für mich das Gebet und der Gottesdienst haben? Ist das alles nichts wert? Ich gebe zu, solche Gedanken sind mir nicht fremd.
Jesus versteht den Ärger und auch das Gefühl, dass das eigene Bemühen nicht so richtig wertgeschätzt wird. Er nimmt den Ärger ernst und begegnet diesem in einer zweifachen Antwort:
Die erste Antwort: „Nicht die Starken bedürfen des Arztes sondern die Kranken“ Damit erkennt Jesus die Glaubensstärke der Pharisäer an. Er freut sich darüber und weiß es zu schätzen, was sie dafür tun, dass der Glaube in der Gesellschaft relevant bleibt. Er verbindet diese Wertschätzung aber mit der Bitte, nicht stehen zu bleiben, nicht selbstgenügsam zu sein, weil sonst Glaube sehr schnell als etwas Exklusives, eben Ausschließendes empfunden wird, als etwas, dem ein ganz normaler Mensch kaum gerecht wird.
Er bittet darum, nicht zu exklusiv vom Glauben zu denken, weil er weiß, wie unberechenbar das Leben sein kann. Wer weiß was einem noch zugemutet wird und wie schnell man dann auch Zweifeln ausgesetzt sein kann? Wer weiß, wie schnell man sich auch in einer Sache verrennen kann und dann schuldig wird an anderen und an sich selbst? Wer weiß, wie sich das Leben drehen kann? Und dann tut es gut, wenn jemand seine Tür für einen öffnet.
Im Konfirmandenkurs machten wir vorgestern einen Weg zum Psalm 23. An verschiedenen Stationen in der Stephanskirche begegneten die Konfis den einzelnen Versen dieses wunderbaren Psalm. Beim Vers: „Du bereitest mit einen Tisch im Angesicht meiner Feinde“ sollten sie auf ein Plakat schreiben, wo sie Schutz brauche. Beim Aufräumen am Abend las ich die einzelnen Sätze und jemand schrieb sehr weise: „Ich brauche Schutz vor mir selbst.“ Ja, das Leben verläuft nicht nur geradlinig und dann ist es gut, wenn jemand seine Tür öffnet.
Die zweite Antwort: „Lernt, was das heißt ‚Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!‘“
Ich verstehe diese Antwort so, dass ich ermutigt werde, auf andere zuzugehen, meine eigenen Vorurteile zu überwinden und die wunderbare Erfahrung zu machen, der andere passt ja gar nicht in die Schulblade, in die ich ihn hineingepresst werde. Der andere ist viel mehr als mein Vorurteil und meine Vorerfahrung. Jesus wusste, dass man diese Erfahrung vor allem beim gemeinsamen Essen machen kann. Wie bereichernd Tischgemeinsacht sein kann, erfahren wir gerade bei der Aktion Suppenkirche (vgl. www.suppenkirche.de)
Es ist gut, dass Jesus uns auch immer mal etwas zumutet und so die Grenzen unseres Denkens und Glaubens sprengt, denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.